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NHL Observer

Selten können es sich Cheftrainer in der NHL während mehreren Saisons leisten, die Playoffs nicht zu erreichen und weiterhin Chef an der Bande bleiben. Oder besser gesagt: Das ist fast unmöglich. Aber es gibt Ausnahmen. Eine davon ist Martin St. Louis und das ausgerechnet bei den Montréal Canadiens.

Als die Montréal Canadiens im Februar 2022 dem Trainer-Greenhorn und -Rookie Martin St. Louis das Vertrauen schenkten, war man sich einig: „Marty“ ist eine gewagte Wahl, aber in der Provinz Québec geniesst er nicht nur Legendenstatus, er ist auch einer der sympathischsten Zeitgenossen im Hockeybusiness. Trotz seiner Unerfahrenheit als NHL-Coach (und als Cheftrainer generell) vermittelt er bei den Spielern eine hohe Glaubwürdigkeit. Ausserdem bewirkte er bei seinem Amtsantritt mit sofortiger Wirkung ein Gefühl, dass nach dem Stanley-Cup-Finale 2021 und der darauffolgenden Horror-Saison 2021/22 frischer Wind aufkommt. Danach folgten zwei Spielzeiten mit einer deutlichen Steigerung in sportlicher wie auch atmosphärischer Hinsicht. Und: die Fans akzeptierten, dass man sich in einem Neuaufbau befindet und es sicherlich noch einige Saisons beanspruchen würde, bis die „Habs“ sich wieder im Kreise der Topteams befinden. Die Geduld der äusserst anspruchsvollen Fachleute und Fans ist erstaunlich, denn ausgerechnet in der Geburtsstadt des modernen Eishockeys mit der emotionalen Bindung zum NHL-Club ist diese Eigenschaft nicht sehr ausgeprägt.

Unkündbar, weil glaubwürdig

Natürlich hilft der Rebuilding-Plan einem jungen Coach, der zudem noch „Everybody's Darling“ ist, einige sportlich nicht ganz so erfolgreiche Saisons zu überstehen. Das kommt dem guten Kommunikator Martin St. Louis entgegen. So wie auch seine Herkunft als Franko-Kanadier. Er verkauft zudem den Neuaufbau-Plan glaubwürdig – auch bezüglich der Kaderzusammenstellung, die er zusammen mit GM Kent Hughes verantwortet. Die ganze Konstellation macht ihn aktuell fast unkündbar, zumindest für die nächsten paar Jahre. Vorausgesetzt, die sportliche Entwicklung der „Habs“ macht weiter spürbare Fortschritte. Was ihm im sportlich-technischen Bereich hoch angerechnet wird: „Marty“ war mitverantwortlich, dass die vielen Jungstars um Nick Suzuki - namentlich Cole Caufield, Juraj Slafkovsky und Kaiden Guhle sowie weitere junge Verteidiger – Fortschritte in deren Entwicklung als Spieler und als Profis in menschlicher Hinsicht machten. Ausserdem: Die Spielweise ist offensiver und attraktiver geworden unter St. Louis.

Geduld zahlt sich manchmal eben doch aus

In einer ähnlichen Situation befindet sich auch André Tourigny. Wobei dieser schon viele Erfolge ausserhalb der NHL als Cheftrainer feierte und nicht als Trainer-Rookie ins NHL-Business einstieg. Auch bei den Arizona Coyotes bleibt man dem Rebuilding-Plan treu und somit auch dem Cheftrainer. André Tourigny wurde im Juli 2021 von den inzwischen nach Salt Lake City/Utah transferierten „Yotes“ eingestellt, nur sieben Monate bevor St. Louis bei den Canadiens anheuerte.

Als Leitbild für Martin St. Louis und André Tourigny könnte die Geschichte von Jared Bednar dienen. Auch er hatte wie Tourigny einige Erfolge auf verschiedenen Ebenen und zunächst in der NHL bei den Colorado Avalanche eine desaströse Saison 2016/17: Seit Einführung der 82-Spiele Saison hatte nie eine Mannschaft so wenig Punkte gesammelt (48).  Nach Patrick Roys überraschendem Rücktritt vom Trainerposter bei den „Avs“ verpflichtete damals General Manager Joe Sakic mitten im Sommer 2016 Jared Bednar. Und hielt an ihm auch dann fest, als die „Avs“ die statistisch schlechteste Saison des aktuellen Jahrhunderts ablieferten - alle Teams miteingeschlossen. Was danach folgte, ist bekannt: Er gewann 2022 den Stanley Cup. Jared Bednar wurde übrigens 2020 in die Hall of Fame der ECHL aufgenommen und ist der erste Chefcoach, der in dieser Kombination den Kelly Cup, den Calder Cup und den Stanley Cup gewonnen hat.

Zusammen mit Jared Bednar gehört Martin St. Louis mittlerweile erstaunlicherweise sogar zu den dienstältesten NHL-Chefcoaches, die 2024/25 in dieser Funktion an der Bande stehen werden: Dazu zählen André Tourigny, Rod Brind'Amour (Carolina, seit 2018), Mike Sullivan (seit Dezember 2015 Trainer der Pittsburgh Penguins) und natürlich Jon Cooper (Tampa, seit 2013). Sollte „Marty“ in den nächsten zwei Saisons tatsächlich die Playoffs erreichen, wird dies womöglich eine lange Sport-Ehe mit den Canadiens einläuten. Um aber Jon Coopers Marke von 13 Saisons zu erreichen, braucht er Stanley-Cup-Erfolge. Aber wer weiss, vielleicht wird er sogar den absoluten Rekord brechen: Jack Adams von 1927 bis 1947 (Detroit) sowie auch Al Arbour von 1973 bis 1994 (NY Islanders) waren 20 Saisons in Folge Chefcoach im gleichen Team.

Joël Ch. Wuethrich publiziert wöchentlich Hintergrundberichte über die NHL in der führenden Deutschen Fachpublikation Eishockey News und hat ein ausgezeichnetes Beziehungsnetz in Nordamerika. Seit 1992 ist er Chefredaktor diverser namhafter Publikationen, unter anderem auch war er beim Slapshot sowie beim Top Hockey Chefredakteur und war zudem lange Jahre für den Spengler Cup strategisch in Marketing und PR sowie als Chefredaktor tätig. Joël Ch. Wuethrich leitet seit 1992 hauptberuflich eine crossmedial aufgestellte PR-Agentur und eine Player's Management Agentur (Sportagon), ist Crossmedia-Stratege und HF-Dozent mit Lehrauftrag für Kommunikation und Marketing. Er analysiert seit 30 Jahren als Autor/Chefredakteur in der Schweiz, Deutschland sowie in Kanada die NHL und beobachtet das Eishockeygeschehen weltweit intensiv. Der Familienvater (zwei Kinder) arbeitet in der Schweiz und in Montréal, wo ein grosser Teil seiner Verwandtschaft wohnt.

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